„Bewohner der lachenden Ufer des Rheins, ich bin beauftragt, Euch an den Wohltaten der Gesetze teilnehmen zu lassen, nach welchen die Franzosen regiert werden“.
Das verkündete der zur Verwaltung der von den französischen Truppen im sog. Ersten Koalitionskrieg eroberten Gebiete eingesetzte Regierungskommissar François Joseph Rudler im Dezember 1797 den frischgebackenen französischen Staatsbürgern.
Im Frühsommer 1802 war Johannes Bückler überhaupt nicht nach republikanischen Wohltaten zumute. Er war seit dem 31. Mai im deutschen Frankfurt am Main inhaftiert und ahnte, dass ihm bei einer Auslieferung an die französischen Behörden das Fallbeil drohen würde.
Die Sorge war berechtigt: Die alte Reichsgerichtsbarkeit der rechtsrheinischen Gebiete – mit ihren regionalen Besonderheiten und ständischen Privilegien – war im Begriff, unterzugehen. Mit der französischen Besatzung links des Rheins wurde ein völlig anderes Strafrechtssystem eingeführt, das zwar von der Gleichheit vor dem Gesetz ausging, jedoch keine Gnade für organisierte Kriminalität kannte. Und das Deliktsspektrum, für das sich Johannes Bückler und seine Komplizen verantworten mussten, war ebenso breit wie eindrücklich: Mord, Raub, Erpressung, schwere Diebstähle, Einbrüche und Brandstiftung waren nur die schwersten Vorwürfe.
Die kriminelle Laufbahn des jungen Bückler begann noch unspektakulär. Im Jahr 1794, etwa 15 Jahre alt, war er gemeinsam mit anderen Jugendlichen am Diebstahl von Lebensmitteln von französischen Proviantwagen beteiligt. Die französische Besatzungsmacht drohte mit der Zerstörung des Dorfes, falls die Täter nicht ausgeliefert würden. Es kam zur Auslieferung, doch Bückler gelang die Flucht während eines Gefechts zwischen französischen und Reichstruppen.
1796 arbeitete er als Abdeckerknecht in Bärenbach. Nach dem Diebstahl von sechs Kälberfellen und einer Kuhhaut wurde er in Kirn verhaftet, entkam aber aus dem Arrest. Kurz darauf stahl er gemeinsam mit einem Komplizen ein Pferd vom Schemerhof bei Kirrweiler; das Tier wurde im Dreiweiher versteckt und verkauft. Auch am Diebstahl zweier Hammel beim Rillhof bei Merzweiler war er beteiligt.
Wenig später erhielt er von einem Gastwirt in Veitsroth einen Louis d’Or, um in Oberstein Branntwein zu kaufen, verprasste das Geld aber in anderen Wirtshäusern. Aus Angst vor der Strafe setzte er sich ab. Nach wenigen Tagen, so seine spätere Aussage, sei er aus „gänglichem Mangel an Lebensmitteln“ zum Diebstahl gezwungen gewesen. Auf dem Schönborner Hof entwendete er ein Pferd.
Der erste überlieferte Mord datiert auf den 22. Dezember 1797: In der Nähe von Kastellaun wurde Nikolaus Rauschenberger erschlagen. Die Obduktion brachte vier tiefe Fleischwunden am Kopf zutage. Die Ärzte notierten: „Kopfwunden, Knochensplitterungen, Blutergüsse, Zerstörung der Hirnhaut.“ Die Hirnsubstanz selbst war zerrissen und von ausgetretenem Blut durchsetzt. Der Tod sei, so das Gutachten, „unter Zuckungen und Krämpfen“ unvermeidlich gewesen.
„Sehr malträtiert, bis wir bluteten“
Nur wenige Wochen später, im Januar 1798, traf es die Bewohner der abgelegenen Spaller Ziegelhütte. Die Bande gab sich als harmlose Übernachtungsgesellschaft aus, doch in der Nacht schlugen sie zu. Der Besitzer Martin Schmitt und seine Frau wurden brutal zusammengeschlagen. „Sehr malträtiert, bis wir bluteten“, sagte sie später aus. Er starb an den Folgen.
Im August desselben Jahres wurde der Seibersbacher Viehhändler Simon Seligmann überfallen und getötet. Die Obduktion dokumentierte einen Stich in die Brust. Die Täter raubten die Leiche aus, wurden jedoch von Reitern gestört. Seligmanns Hut lag neben dem Körper, seine Schuhe aber hatte die Bande mitgenommen.
Im März 1800 lauerten zwei Räuber dem Viehhändler Samuel Eli bei einer Mühle auf. Er wurde schwer verletzt, überlebte jedoch zunächst. Zehn Tage später starb er an einem fiebrigen Leiden, das aus seinen infizierten Wunden hervorging. Die Ärzte sprachen von „heftigem Gestank“ und einem Körper, der „ein wahres Skelett präsentierte“.
Noch im selben Monat erfolgte der Überfall auf das Posthaus in Würges. Die Beute: Bargeld und amtliche Wertsendungen. Wenig später, im April 1800, überfielen Mitglieder der Bande bei Neubrücke eine Gruppe jüdischer Händler. Im Mai desselben Jahres verlangte Bückler in Hottenbach Schutzgeld.
Zum Jahreswechsel 1801 kam es in Niederbreisig zu einem Einbruch bei einem Juwelier. Die Räuber erbeuteten Schmuck und Bargeld. Im Mai 1801 dann der Überfall auf zwei Gruppen jüdischer Händler, die vom Markt in Bad Kreuznach zurückkehrten. Der Maire von Duchroth beschrieb später: „Säbelhiebe im Kopf, ganz von Blut bedeckt, kraftlos, durch Schrecken beinahe außer sich.“
Die französische Verwaltung reagierte zunehmend gereizt auf die Eskalation. Ab 1801 verstärkte sie den Fahndungsdruck, setzte Kopfgelder aus, tarnte Spitzel als Deserteure und forderte die Bevölkerung auf, Hinweise zu liefern.
Im September 1801 versuchte der Händler Mendel Löb, sich mit einer Axt gegen einen Überfall der Bande zu verteidigen. Er wartete hinter dem Fenster, kampfbereit. Es nützte nichts. Er starb. Der genaue Ablauf blieb unklar. Im Oktober wurde bei einem Raubzug in Obermoschel erneut ein jüdischer Händler überfallen.
Im Januar 1802 traf es Adam Kratzmann. Er wurde überfallen und ausgeplündert. Vier Tage später wurde Heinrich Zürcher zur Herausgabe seines Vermögens gezwungen. Wenige Tage darauf versuchten Bückler und seine Männer, auch Valentin Bernhard zur Zahlung zu nötigen – diesmal ohne Erfolg.
Es war der letzte dokumentierte Gewaltakt. Wenig später fiel Bückler den deutschen Behörden in die Hände. Am 31. Mai 1802 wurde er auf einem Feldweg im Taunus kontrolliert. Er konnte sich nicht ausweisen. Der Amtmann nahm ihn fest, ahnte jedoch nicht, wen er in Gewahrsam hatte. Erst eine Woche später wurde erkannt: Man hatte den meistgesuchten Verbrecher der Region gefangen. Die französische Obrigkeit drängte auf Auslieferung.
Anders als in der deutschen Reichsgerichtsbarkeit, die teilweise noch Verbannungen oder öffentliche Brandmarkungen vorsah, galt im französischen Recht eine klare Linie: Delikte wie Mord oder schwerer Raub sahen nach dem Code pénal von 1791 zwingend die Todesstrafe vor.
In der Hoffnung, der Auslieferung und damit dem Tod entgehen zu können, zeigte sich Bückler gegenüber den kaiserlichen Behörden kooperativ und versprach, über all seine Verfehlungen Auskunft zu geben, wenn man ihn nur nicht den Franzosen überlasse. „Forum Shopping“ nennt man das in der modernen Strafrechtswissenschaft.
Es nützte nichts. Nach einigen Verhören wurde Bückler am 16. Juni 1802 an die französischen Behörden übergeben, die ihm einen der spektakulärsten Prozesse des frühen 19. Jahrhunderts machen sollten.
Dass das Urteil gegen Bückler vorhersehbar war, zeigt sich nicht nur daran, dass schon bevor der öffentliche Prozess überhaupt begonnen hatte, Särge bestellt und Einladungen zur bevorstehenden Hinrichtung ausgesprochen wurden, sondern auch daran, dass Bückler bereits vor Prozessbeginn ein Gnadengesuch an Napoleon Bonaparte richtete. Das Gesetz sah eine Urteilsvollstreckung innerhalb von 24 Stunden vor. Nach der Urteilsverkündung wäre also keine Zeit mehr für das Gnadengesuch geblieben.
So war die Gnade des französischen Staatsoberhaupts Bücklers letzte Hoffnung. Er versuchte, sie durch weitreichende Geständnisse im Rahmen der durch den Untersuchungsrichter Wilhelm Wernher geleiteten Voruntersuchungen zu verdienen. Nicht weniger als 54 Verhören wurde Bückler bis ins Frühjahr 1803 unterzogen.
„Möge es mir erlaubt sein, meine Verfehlungen im Blut des Engländers zu sühnen!“
Bückler wählte den Mainzer Rechtsanwalt Philipp Heinrich Hadamar als Verteidiger, einen erfahrenen und wortgewandten Juristen, der einige Jahre später seine Heimatstadt beim Wiener Kongress vertrat. Von seiner rhetorischen Finesse zeugt das raffiniert formulierte Gnadengesuch Bücklers an Napoleon. Auch hierin zeigte sich Bückler weitgehend geständig. Niemals aber habe „Menschenblut absichtlich seine Hände besudelt“, mehr als einmal habe er sich der mörderischen Raserei seiner Räuberkameraden widersetzt. Im Gegenzug für die Begnadigung bot er sich dem französischen Staatsoberhaupt als Soldat im Krieg gegen England an: „Ich beschwöre Sie bei meiner Jugend, bei meinen Tränen, bei meiner aufrichtigen Reue: Möge es mir erlaubt sein, meine Verfehlungen im Blut des Engländers zu sühnen!“
Am 24. Oktober 1803 begann vor dem Tribunal criminel spécial in Mainz die Hauptverhandlung gegen Johannes Bückler und 67 mutmaßliche Komplizen. Die Anklage umfasste Mord, Raub, Erpressung und Bandenkriminalität. Sie wurde von dem öffentlichen Ankläger Tissot vertreten, einem erfahrenen Juristen aus Paris.
Die Hauptverhandlung war minutiös vorbereitet. Die Akten füllten vier Bände; die acte d’accusation listete die Tatvorwürfe im Detail auf. Etwa 400 Zeugen wurden geladen. Der Andrang zum Prozess war so groß, dass die Behörden Eintrittskarten ausgeben ließen, um die Zuschauerströme zu regulieren.
„Er war der einzige unter allen Verteidigern, dem man mit Lust zuhören konnte.“
Die Angeklagten erhielten Verteidiger – entweder auf eigene Wahl oder durch gerichtliche Zuweisung. Hadamar vertrat neben Bückler auch mehrere Mitangeklagte. Die weiteren Verteidiger stammten ebenfalls fast ausschließlich aus Mainz, darunter der ehemalige Jakobiner Karl Steinem sowie Johann Friedrich Handel, Wilhelm Christian Stürtz, Adam Schwaab und Elias Stephan Melchiors. Besonders hervorgetan hat sich der Anwalt Karl Parcus. Er übernahm 24 Mandate – mehr als jeder andere – und erreichte zehn Freisprüche. Ein Beobachter notierte: „Trefflich sprach (…) der Bürger Parcus. Er war der einzige unter allen Verteidigern, dem man mit Lust zuhören konnte.“ Zu seinen Mandanten zählten unter anderem Margaretha Eberhard und die Brüder Jakob und Johann Porn.
Am 20. November 1803 fiel das Urteil: Johannes Bückler und 19 weitere Angeklagte wurden zum Tode durch die Guillotine verurteilt. Weitere neun Männer erhielten langjährige Kettenstrafen, darunter auch Bücklers Vater.
Einen Tag später verwandelte sich der Hinrichtungsplatz am Neutor in Mainz in eine Art Jahrmarkt. Etwa 30.000 Menschen strömten zusammen. Man trank, spielte, tanzte, feilschte. Unter den Schaulustigen, so berichtete ein Beobachter, seien viele Frauen gewesen, „die die Metzelei von 20 Menschen ohne sonderliche Anfälle von Weichheit mit ansehen konnten“.
Als fünf Wagen mit den Verurteilten vorfuhren, saß Bückler auf dem ersten, bekleidet mit dem roten Hemd des Mörders. Er soll gefasst gewirkt haben, als er das Schafott betrat. „Ich sterbe gerecht. Aber zehn von meinen Kameraden verlieren das Leben unschuldig“, rief er der Menge zu. Dann verbeugte er sich. Die Exekution der 20 Verurteilten dauerte nur 26 Minuten.
Einige Henker bemühten sich, das austretende Blut in Gefäßen aufzufangen. Es hieß, das Blut eines Hingerichteten sei ein wirksames Mittel gegen Epilepsie.
In unmittelbarer Nähe des Schafotts hatte die Mainzer Medizinische Privatgesellschaft eigens eine Holzhütte mit zwei abgetrennten Räumen errichten lassen. Dort sollte untersucht werden, ob sich durch galvanische Reize nach dem Tod noch Lebenszeichen im menschlichen Körper auslösen lassen. Die Gelegenheit, mit frisch hingerichteten Körpern zu arbeiten, war selten – entsprechend groß war das wissenschaftliche Interesse.
Noch am Ort der Hinrichtung, unterhalb des Schafots, führten zwei Medizinkandidaten erste Tests an den abgetrennten Köpfen durch – darunter auch jenem Bücklers. Einer nahm den Kopf in beide Hände, während der andere laut in die Ohren rief, um auf mögliche Reaktionen zu achten. Keine Muskelregung, kein Zucken, kein Laut. Die Gesichter blieben starr. In der Versuchshütte wurden anschließend galvanische und elektrische Reize angelegt. Unter Spannung begannen einzelne Muskelpartien zu reagieren: Die Gesichter verzogen sich, Zähne knirschen, Fasern zuckten. Die Beobachtungen flossen in eine veröffentlichte Versuchsbroschüre ein, in der als erstes „Gesetz“ festgehalten wurde: „Wenn man die Muskeln kürzlich getöteter Menschen mit den Leitern einer Voltaschen Säule verbindet, zeigen sie dieselben Reaktionen wie im lebenden Zustand“. Wissenschaft im frühen 19. Jahrhundert.
Die Antwort aus Paris auf Bücklers Gnadengesuch erreichte die Mainzer Richter erst wenige Tage nach der Hinrichtung. Sie hätte Bückler aber auch nicht gerettet. Die Entscheidung Napoleons lautete: Abgelehnt.
Das Fallbeil, das bei der Hinrichtung des Schinderhannes verwendet wurde, ist heute im Hunsrück-Museum in Simmern ausgestellt. Lange galt ein Skelett in der Heidelberger Anatomischen Sammlung als „der Schinderhannes“. Schon früh hatte es daran Zweifel gegeben. Im März 2025 wurden diese ausgeräumt: Genetische und forensische Untersuchungen ergaben, dass nicht das bisher zugeordnete, sondern ein anderes, bis dahin fälschlich als das des „Schwarzen Jonas“ bezeichnetes Skelett tatsächlich Johannes Bückler zuzuordnen ist – 222 Jahre nach seiner Hinrichtung.
Permalink: https://pitaval.online/132